Abschied vom Apfelbäumchen

Einen alten Baum verpflanzt man nicht, sagt der Volksmund.

Naja, so alt war bzw. ist mein Apfelbaum noch gar nicht und dennoch konnte und wollte ich ihn nicht verpflanzen, als ich mich selbst verpflanzt habe. Bei uns Menschen heißt das Umzug und kommt im Leben der meisten Menschen häufiger vor. Und je länger man am bisherigen Ort gelebt hat, kommen dabei nicht nur freudige Gefühle auf.

Auch mir ging es so. In der ersten Phase hatte ich genügend zu tun mit ausräumen dort und einräumen hier. Kaum kehrte etwas Ruhe ein, kamen die Erinnerungen und damit auch Empfindungen der Trauer um bisher gewohnte und liebgewonnene Umstände in der alten Umgebung. Und sehr schnell merkte ich, dass ich am meisten meinen Apfelbaum vermisste.

Ich konnte mir nach wie vor sagen, dass es gute Gründe gab, eine Veränderung meiner sozialen und räumlichen Umgebung vorzunehmen: Einen neuen Arbeitsplatz; veränderte Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse für mich und in meiner Partnerschaft; und auch die eigenen Kinder finden ab einem bestimmten Alter das Leben in einem Dorf nicht mehr so spannend wie früher.

Beim selbst gebauten Haus war es ähnlich: Kaum sind die ersten Kinder ausgezogen, wird es schnell zu groß und macht viel Arbeit; und zum eigenen Erschrecken öffnet sich dann der Blick dafür, dass die vielen Treppen dieser architektonisch so attraktiven split-level-Bauweise nun wirklich nicht altersgerecht sind. Man wird halt nicht jünger.

Nur beim selbst gepflanzten Apfelbaum finde ich keinen guten Grund, ihn verlassen zu haben. Hier bleiben die Trauer des Abschieds und die Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit. Ich hatte in diesen Jahren viel Freude daran, ihn zu pflanzen, ihn zu pflegen und zu beobachten. Und ich bin auch stolz darauf, dass er groß und stattlich geworden ist und Früchte trägt. Wir hätten also noch viele Jahre Freude aneinander haben können.

Hätte ich doch bleiben sollen, wo ich war? Vielleicht um mein Apfelbäumchen weiter zu pflegen? Eindeutig nein! Gerade das habe ich auch von meinem Apfelbaum gelernt: Um sich weiterentwickeln zu können, um wachsen zu können, ist es wichtig, auf dem passenden Untergrund zu stehen bzw. in der förderlichen Umgebung zu leben. Und während das beim Baum in der Regel eine Entscheidung für die gesamte Lebenszeit ist, gibt es bei uns Menschen kein lebenslänglich. Wir können die für uns förderliche Umgebung immer wieder neu bestimmen. Dann ist es allerdings wie beim Baumschnitt: Erst durch die Verabschiedung von Teilen des bisher Entstandenen und Gewachsenen kann sich wieder Neues entwickeln.

Wie wichtig es sein kann, sich die eigene Bewegungsfreiheit nicht mit allzu viel Archivmaterial aus dem eigenen Leben zu erschweren, habe ich spätestens beim Ausräumen des Kellers bemerkt. Aber das wäre wieder eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden …

Adieu, mein Apfelbäumchen, alles Gute!

Dein Rainer

Dieser Beitrag wurde verfasst am Montag, 8. September 2014 um 08:48 und wurde abgelegt unter Coaching. Du kannst den Antworten auf diesen Beitrag folgen, indem Du den RSS 2.0 Feed abonnierst. Du kannst eine Antwort hinterlassen, oder einen Trackback von Deiner eigenen Webseite setzen.

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