Kürzllich hatte ich mich nach längerer Zeit mal wieder an einen neuen Krimiautor gewagt und bereits drei Bände seiner Reihe gelesen. Beim Lesen des vierten spürte ich dann so ab der 100. Seite eine leisen Widerstand: Gewisse Formulierungen wiederholten sich, die Verhaltensweisen bestimmter Charaktere wurden vorhersehbar und stereotyp; es gelang mir nicht mehr so gut, in die Handlung einzutauchen und mich vom Plot gefangen nehmen zu lassen.
War ich fertig mit dem Buch, ohne das Ende zu kennen, ohne zu wissen, ob die Mörderin gefasst wird?
Ich habe die Frage mit einem klaren JA beantwortet. Ich kam mir vor wie Forrest Gump in dem gleichnamigen Film: Er fängt irgendwann an zu laufen, weil er einfach laufen will; und er hört unvermittelt damit auf, weil er innerlich damit fertig ist, weil das Laufen für ihn zu Ende ist.
Warum sollte ich ein Buch weiterlesen, mit dem ich innerlich abgeschlossen habe? Bloß weil der Autor noch weitere 300 Seiten geschrieben hat? Oder weil es mir ab der Seite 354 wieder besser gefallen könnte? Nein, ich war damit durch.
Wann ist für Sie etwas zu Ende? Wann erlauben Sie sich, mit etwas aufzuhören, ohne dass es dafür vorgefertigte Markierungen gibt wie eine letzte Buchseite oder den Abspann eines Filmes?
Richtig schwierig und existenziell werden diese Fragen, wenn man sie auf andere Bereich wie Liebesbeziehungen, Freundschaften oder das Berufsleben überträgt: Ich kenne Paarbeziehungen, in denen sich die Partner in zynischer Manier gegenseitig subtil abwerten und verletzen, so dass ich ihnen insgeheim wünsche, sie würden sich frei geben; der einst lebendige Freundeskreis erstarrt in Ritualen; und an der Arbeitsstelle macht man Dienst nach Vorschrift, weil man innerlich schon längst gekündigt hat.
Das Buch habe ich am nächsten Tag wieder zur Bibliothek zurückgebracht, damit es einem anderen Menschen Freude machen kann, der noch nicht damit fertig ist.
Können und dürfen wir das entsprechend in anderen Bereichen des Lebens auch machen? Und wenn ja, wie geht das?